Review< Zurück 24.07.2009
Von Nick Gruber
Der Organismus Mensch hat vergessen, dass er ohne seinen Wirt Erde nicht überleben kann. Seit 5. Juni kursiert mit "Home" ein dokumentarisches Epos, das mitttels spektakulär-schöner Luftaufnahmen genau dieses Problem aufzeigt. Und das ist gut so, denn es ist auch schon reichlich spät, um ein Pessimist zu sein!
In Home wird das große Ganze gezeigt, ohne sich im Detail zu verlaufen - und dieser Zugang ist auch bitter nötig. Bei all der überzogenen Aufmerksamkeit auf das Individuum wird schnell vergessen, dass wir Menschen kollektiv betrachtet nichts anderes als eine Naturgewalt sind. In unseren mageren 200.000 Jahren Existenz auf diesem Planeten haben wir es geschafft, eine über 4 Mrd Jahre evolutionierte Balance so zu verändern, dass man unsere Spuren noch aus dem Weltall erkennt.
Der Film weist auf diesen kollektiven Wahnsinn hin - und zwar mit der nötigen Distanz. Regisseur Yann Arthus-Bertrand hat zusammen mit Produzent und Zugpferd Luc Besson sowie Autorin Isabelle Delannoy mehrere Helikopter mit Kameras versehen und dafür gesorgt, dass man die Augen nun ganz verschließen muss um sich dieser Wahrheit zu entziehen. Der Film zeigt Menschen stets in Gruppen, und die Auswirkungen der Handlungen in epischen Luftaufnahmen. Damit wird gleichzeitig jene Erhabenheit der Natur vermittelt, die den einzelnen Menschen zwergenhaft erscheinen lässt, und im selben Moment wird gezeigt dass wir Menschen ähnlich kolossale Monströsitäten vollbracht haben - weitaus schneller und scheinbar zielgerichteter, jedoch ohne Rücksicht auf Umwelt und Zukunft.
In der englischen Version begleitet die Stimme von Glenn Close den Zuseher von der Ursuppe des Lebens über die Revolution des Ackerbaus bis in das moderne Industriezeitalter. Der Mensch wird damit (zu Recht) auf eine Fressmaschine reduziert, die, unter dem wirtschaftlichen Wachstumsmantra leidend, keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen kann, wenn es um das eigene Überleben geht. Wohin sollen denn die Märkte wachsen, wenn nicht in unberührte Gebiete? Immer schneller, immer verzweifelter geht der Raubbau Richtung Exodus. Es heißt nicht ohne Grund, dass es nur zwei Typen von Menschen gibt, die an exponentielles Wachstum in einem begrenzten Raum glauben: Geisteskranke und Ökonomen.
Was dem Film jedoch fehlt, ist eine gründliche Ursachenforschung:
Wir produzieren z.B. inzwischen dermaßen große Mengen an Nahrungsmitteln, dass uns deren Preise (ohne Geldmengeninflation) in den Keller rauschen, und die Bauern ohne Subventionen ihre Lebensgrundlage verlieren. Gleichzeitig gibt es aber mehr hungernde Menschen am Planeten als jemals zu vor. Wie kann das passieren? Wo ist der organisatorische Ausgangspunkt für diese Entwicklung? Um Menschen im Arbeitsprozess zu organisieren und gleichzeitig einen Anreiz auf Mehrarbeit zu schaffen ist Geld und Zins nötig. Es scheint, als existiere in jeder wirtschaftlichen Organisationsform zunächst eine Instanz von Menschen die reich werden wollen. Jene Arbeiter, die diese Produktionskapazität überhaupt möglich machen, müssen zunächst überleben, ehe sie vom Zuckerwasser des Materialismus gekostet haben - logisch. Das ist nämlich unsere neueste Wachstumsindustrie: Wir produzieren Rechtfertigungen.
Der moderne Finanzmarkt sorgt inzwischen dafür, dass man am globalen Ausverkauf beteiligt sein kann, ohne sich groß mit den Auswirkungen seiner Handlungen auseinanderzusetzen. Da kann es schon passieren, dass sich ein Alt-68er unwissentlich bei einem Rüstungsunternehmen oder einem naturfeindlichen Agrar-Multi beteiligt. Das ist also unser menschliches Entwicklungspotenzial? In kosmischen Maßstäben gesprochen, haben die blaugrünen Algen (die wir früher mal waren) vor wenigen hundert Jahren damit begonnen, in das gemeinsame Becken zu pissen.
Aber ich weiß schon was die scharfsinnigen Verfechter des Verdrängungsprinzips dazu sagen: Geh doch nach Nordkorea, wenn du keinen Wachstum möchtest. Die haben kein international integriertes Banken- und Kreditwirtschaftssystem.
Da bitte ich darum, über den Tellerrand hinauszudenken. Der Film ist dafür ein guter Anfang!
Meine Wertung: |
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Filme gehören besprochen. Kinomo! Du fängst an!